Herr Woste, die Thüga ist mit 100 Stadtwerken das größte Netzwerk kommunaler Energie- und Wasserversorger. Der Umbau der Energieversorgung in Deutschland läuft auf Hochtouren – wie sehen Sie diese Entwicklung für produzierende Unternehmen und Mittelständler?
WosteIch glaube, es geht den Unternehmen – unabhängig von der Branche – und den Kunden in Deutschland ähnlich. Ich spüre eine große Bereitschaft, sich auf die Herausforderung Energiewende einzustellen, aber leider wissen wir nicht so recht, worauf wir uns einstellen sollen. Die Informationen und Einschätzungen zur Energiewende stehen sich zum Teil diametral gegenüber. Woran liegt das? Vereinfacht ausgedrückt ist die Energiewende zwischen zwei Welten gefangen: dem alten Energiemarktdesign und dem noch nicht existierenden Marktdesign, das für eine langfristige Ausgestaltung der Energiewende erforderlich wäre. Die Menschen spüren zunehmend, dass viele Dinge noch nicht zusammenpassen, dass die Energiewende noch ein Stückwerk ist. Insofern bestehen aus unternehmerischer Sicht viele Risiken und Unklarheiten. Dies war für uns auch einer der Gründe, einen Schritt weiterzugehen und ein Strommarktdesign 2.0 zu entwickeln und in die Diskussion zu bringen. Wir brauchen wieder Klarheit, um in die Energiewende investieren zu können.
Vor welchen Problemen stehen insbesondere produzierende Unternehmen akut? Welche Sorgen und Nöte dieser Betriebe sehen Sie hier?
WosteAuf Seiten der stromerzeugenden Unternehmen stehen die getätigten Investitionen in die Erzeugungskapazitäten unter Stress, die Unternehmen haben ein erhebliches Rentabilitätsproblem. Einige Kraftwerke sind bereits unwirtschaftlich geworden und zum Teil daher auch nur noch eingeschränkt verfügbar. Das liegt zum einen daran, dass die Einsatzzeiten von Kraftwerken zunehmend kürzer werden, zum anderen wird die Spanne zwischen dem Einkaufspreis des Brennstoffs und dem Stromverkaufspreis immer kleiner. Einhergehend mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien (EE) werden wir bis zum Jahr 2021 wegen des so genannten Merit-Order-Effektes immer seltener Strompreise sehen, bei denen sich das Einschalten konventioneller Kraftwerke rechnet. Das Problem dabei ist, dass wir für die Stunden, in denen Sonne und Wind nicht zur Verfügung stehen, eine Speicher- bzw. Erzeugungsstruktur benötigen, die dann die Versorgungssicherheit übernimmt.
Auf der Verbraucherseite stellt sich besonders bei den Kunden des produzierenden Gewerbes, bei denen die Energiekosten einen hohen Anteil an der Gesamtkostenstruktur ausmachen, die Frage, wie sich die eigene Wettbewerbsfähigkeit entwickelt. Solange nicht klar ist, in welchem Maße die Energiewende die Kostenstruktur des Unternehmens verändern wird, ist es für die Unternehmen schwierig, geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
In Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft hört man häufig, dass das derzeitige System keine Anreize schaffe, Projekte zur Energieeffizienz umzusetzen. Wie sehen Sie dies und was sind aus Ihrer Sicht die Gründe dafür?
WosteWenn Sie in ein Projekt zur Steigerung Ihrer Energieeffizienz investieren wollen und feststellen, dass sich der Aufwand nicht lohnt, dann kann das an zwei Ursachen liegen: Entweder ist der Wert des einzusparenden Gutes, also der Strompreis, zu niedrig oder die Investition in die Effizienz, also die Technologie, ist zu teuer. Eine klare Zuweisung der Ursachen ist mir nicht möglich, das hängt auch immer vom Einzelfall ab. Im Ergebnis sehen wir ein hohes theoretisches Einsparpotenzial, welches unter den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Investitionskriterien der Unternehmen, wie zum Beispiel Amortisation der Investition innerhalb von höchstens drei Jahren, nicht erfüllt und deshalb nicht erschlossen wird.
Stichwort Versorgungssicherheit: Sehen Sie die Gefahr, dass Betrieben der Strom ausgeht, wenn wir jetzt nicht die richtigen Entscheidungen treffen?
WosteAuf der Seite der Kraftwerke haben wir kein akutes Kapazitätsproblem. Wir haben aber auf der Seite der konventionellen Kraftwerke ein Rentabilitätsproblem. Denn das bestehende Marktdesign harmoniert nicht mit den Zielen der Energiewende. Der Herbst dieses Jahres wird von einer intensiven energiepolitischen Diskussion über das langfristige Energiemarktdesign geprägt sein. Und diese Diskussion ist keine isolierte Branchendiskussion, wir sollten in diese Diskussion alle relevanten Gesellschaftsgruppen einbinden. Die Frage, die zu diskutieren ist, lautet: Wie muss das Marktdesign gestaltet sein, damit wir die Ziele der Energiewende kosteneffizient erreichen können? Um es ganz klar zu sagen, wir sind der Auffassung, dass es möglichst viele wettbewerbliche und möglichst wenig regulatorische Elemente beinhalten sollte.
Die Thüga hat im Januar mit einem neuen Marktmodell von sich reden gemacht. Was war der Anlass und welche Vorteile bietet es den Marktteilnehmern konkret?
WosteWir sehen erstens die Notwendigkeit eines neuen Energiemarktmodells und zweitens geht es uns als kommunale Gruppe um die zuvor beschriebene Diskussion, der wir auch Zeit einräumen müssen. Drittens: In der aktuellen Situation ist es hilfreich, ein konkretes Modell zu haben, zu dem jeder sagen kann, was ihm an dem Lösungsansatz gefällt oder an welcher Stelle er einen anderen Weg bevorzugen würde, um das gemeinsame energiepolitische Ziel der Energiewende zu erreichen. Oder an welcher Stelle er unsere Analyse der Problemstellung nicht teilt. In Summe glauben wir, dass unser Ansatz eine klare Logik hat, dass er effizient und transparent ist. Und was ganz wichtig ist: Er setzt den Kunden in eine aktive, weil entscheidende Position.
Was würde sich durch den Einsatz des neuen Modells ändern für die Marktteilnehmer?
WosteVereinfacht ausgedrückt setzt das Modell an zwei Handlungsfeldern an: bei den EE-Anlagen und bei den konventionellen Kraftwerken und Speichern, die gesicherte Leistung anbieten.
Auf der Seite der erneuerbaren Energien (EE) geht es um den Ausbau der EE-Erzeugungskapazitäten. Das bisherige EEG hat gute Aufbauarbeit geleistet. Wir kommen jetzt aber in Ausbaudimensionen, für die es nicht konzipiert wurde. Wir brauchen ein EEG 2.0, mit dem wir den Zubau dieser Anlagen effizient und steuerbar gestalten können. Im Kern geht es darum, dass eine staatliche Stelle – entlang des politisch festgelegten Ausbaupfads – den Bau neuer EE-Anlagen in Form einer Auktion ausschreibt. Es bietet sich an, die jeweiligen Auktionen als so genannte Descending Clock Auctions zu konzipieren. In diesem „rückwärtslaufenden“ Auktionsverfahren reduziert der Auktionator den Preis so lange, bis genau noch die als notwendig erachtete EE-Erzeugungskapazität angeboten wird. Die erfolgreichen Anbieter erhalten den in der Auktion ermittelten Preis als Investitionskostenzuschuss in €/MW über einen festzulegenden Zeitraum hinweg. Die Anlagen vermarkten ihren erzeugten Strom direkt an der Börse.
Und was schlagen Sie auf Seiten der konventionellen Kraftwerke vor?
WosteTrotz des zunehmenden Ausbaus der Stromerzeugung aus Wind und Sonne werden weiterhin Kraftwerke benötigt, die die Versorgungssicherheit garantieren, wenn Sonne und Wind nicht zur Verfügung stehen. Die Vorhaltung und der Betrieb dieser konventionellen Kraftwerke können jedoch nicht aus den wenigen Stunden im Jahr finanziert werden, in denen sie Strom erzeugen. Daher erhalten die Betreiber dieser Kraftwerke – dies können auch Biomassekraftwerke sein – ein Entgelt für die Bereitstellung von Leistung. Durch diese Kapazitätszahlungen ist dauerhaft die Versorgungssicherheit gewährleistet. Im Gegensatz zu allen bisher diskutierten Modellen eines Kapazitätsmarktes stellt das „Integrated-Market-Model“ der Thüga-Gruppe den Verbraucher in eine starke Nachfrageposition. Er bestimmt, welche Leistung für ihn dann vorzuhalten ist, wenn weder Wind- noch Sonnenstrom zur Verfügung stehen. So kann der Kunde nicht nur über seinen Verbrauch, sondern auch über die von ihm bestellte Mindestleistung unmittelbar Einfluss auf die Höhe seines Strompreises nehmen.
Welche Probleme in Bezug auf die Marktgestaltung sehen Sie beim jetzigen Modell?
WosteIm aktuellen Strommarktdesign werden nur jeweils in Abhängigkeit von der Nachfrage die Kraftwerke eingesetzt, die die niedrigsten variablen Kosten haben. Was bedeutet das in der Konsequenz? Die variablen Produktionskosten der EE (hier PV und Wind) liegen in Summe deutlich niedriger als die der konventionellen Kraftwerke. Der Betreiber eines Kohle- oder Gaskraftwerks muss Brennstoff und CO2-Zertifikate für jede zu erzeugende Kilowattstunde kaufen. In der Folge gewinnen Anlagen, die auf erneuerbare Energien setzen, bei der Preisgestaltung zunehmend die Oberhand. Gleichzeitig bekommt der Anlagenbetreiber eine garantierte Vergütung je erzeugte Kilowattstunde. Der Übertragungsnetzbetreiber als gesetzlich verpflichteter Abnehmer der EE-Produktion vermarktet die produzierte Menge am Spotmarkt und rechnet die Erlöse gegen die gezahlten Vergütungen. Die verbleibenden EEG-Differenzkosten werden per Umlage auf einen Großteil der Stromkunden abgewälzt. Durch den oben beschriebenen strompreissenkenden Effekt der Erneuerbaren werden die EEG-Differenzkosten weiter massiv steigen. Das derzeitige EEG führt zwar zu dem gewünschten Ausbau der EE, gleichzeitig wird aber deutlich, dass dieser Weg auf Dauer nicht finanzierbar und dadurch die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende als Ganzes gefährdet ist. Daher schafft die derzeitige Preisfindung im Energy-Only-Markt weder ausreichende Anreize für den gesellschaftlich geforderten EE-Zubau noch Anreize für den für die Versorgungssicherheit notwendigen Zubau konventioneller Kraftwerksleistung.
Sie sind nicht nur Vorstand der Thüga, sondern auch Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Welches Bild der jetzigen Situation in der Energiepolitik ergibt sich dabei für Sie?
WosteEs gibt eine zunehmende Fülle von energiepolitischen Zielen. Kommunen, Länder, Bund und EU formulieren jeweils eigene Energiekonzepte. Dies muss besser koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Ein ‚Nationales Forum Energiewende‘, das der WWF und der BDEW vorgeschlagen haben, böte dafür die geeignete Plattform. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Herausforderungen jenseits der Diskussionen rund um die Strompreise. Der BDEW hat in den zurückliegenden Monaten verschiedene Positionen beispielsweise zum Netzausbau, zum Kraftwerkseinsatz und zu den EU-Klimaschutzzielen 2030 erarbeitet. Im Moment erarbeitet der Verband unter anderem eine Branchenposition zur langfristigen Ausgestaltung des Energiemarktdesigns und wird der Politik diesen Vorschlag unterbreiten. Die Politik hat das Problem grundsätzlich verstanden, lässt sich derzeit aber noch nicht in die Karten schauen, wie sie es lösen will. Wie vorhin schon skizziert, erwarte ich eine intensive Diskussion nach der Bundestagswahl.