Ein Interview mit Torsten Windels, Chef-Volkswirt der NORD/LB.
Ende 2012 waren gerade 7.000 Stromer hierzulande unterwegs. Ist die Elektromobilitätsstrategie Berlins bereits gescheitert bevor sie überhaupt richtig begonnen hat?
WindelsSo weit würde ich nicht gehen. Doch die Dynamik in der Diskussion war schon größer. Vielleicht ist die Komplexität in Deutschland mit der Energiewende hinderlich. Einerseits produzieren erneuerbare Energien doch überwiegend Strom und der Umwandlungsprozess zur Elektromobilität erscheint einfacher. Andererseits liegt das Augenmerk auf dem Umbau des alten Energiesystems. Hier ist viel Kraft und politische Aufmerksamkeit gebunden, die dann für die Elektromobilität fehlt. Hinzu kommen ökonomische Risiken. Niemand weiß, welches der dominierende und damit ökonomisch lukrative Antrieb der Zukunft sein wird. Am wahrscheinlichsten wird ein schrittweises Aufkommen neuer Antriebe sein. Verbesserung der Effizienz herkömmlicher Verbrennungsmotoren mit Entwicklung zu Biodiesel und Biogas, Wasserstoffmotoren und reine Elektroautos. Dabei wird das Dilemma systemischer Entscheidungen deutlich. Keiner weiß, was die beste Lösung ist, aber eine Mehrproduktstrategie macht einen parallelen Ausbau der Infrastrukturen notwendig. Das kostet und bringt keine hinreichenden Skaleneffekte, die die Stückpreise senken könnten. Dies war bei der Markteinführung der Video-Cassette, der DVD und der Blu-Ray-Disc schon hinderlich. Erst nach der Entwicklung komfortabler Kompatibilitätslösungen (DVD) oder der Entscheidung auf ein System, hatten die Kunden eine eindeutige Orientierung, welches System Zukunft hat. Nun sind Elektroauto und Stromtankstellen deutlich teurer als ein DVD-Spieler und erhöhen die Marktschwellen erheblich. Vielleicht ist aber auch ein wenig die Risikoscheu der deutschen Industrie und der deutschen Verbraucher schuld. Beim Thema Katalysator oder Rußfilter taten wir uns auch schon schwer. Oder bei den Off-Shore-Windparks geht es in Dänemark und Großbritannien schneller voran. Unser Vorsichtsprinzip und unser Perfektionsstreben müssen erst alle Risiken kennen, alle Fragen beantwortet haben, bevor investiert wird.
„Die Elektromobilität ist nicht einfach ein Wechsel von Auto fossil auf Auto elektrisch, sondern belebt die unterschiedlichsten Sektoren.“
Torsten Windels
Welche Schritte müsste die Politik jetzt einleiten, um der Elektromobilität den nötigen Anschub zu verleihen?
WindelsIndustrie und Politik begreifen Energiewende und Elektromobilität als Risiko und als Chance. Hier entstehen neue Märkte, das ist gewiss. Aber ungewiss ist, wo genau was gebraucht wird und was der Bürger bzw. Kunde will. Zudem tun wir uns in Deutschland schwer mit staatlicher Förderung. Wer sagt, dass die Förderung auf das richtige System setzt? Hier sind andere Länder pragmatischer. Was letztlich besser ist? Schwer zu sagen. Man sollte aber das Ziel von einer Millionen E-Autos in 2020 nicht zu sklavisch nehmen, sonst wird mit viel Geld eine Struktur erzwungen, die sich vielleicht schon überholt hat.
Kaufprämien stellen auch in anderen Ländern keine Erfolgsgarantie dar. Inwieweit sind sie überhaupt sinnvoll?
WindelsChina ist immer für Überraschungen gut. Insofern sollte man China nicht verfrüht aufgeben. Zumal das Motiv Chinas handfest ist. Der Smog in den Großstädten bedroht Gesundheit und Wachstum. Hier muss etwas passieren.
Gibt es seitens der Automobilbauer Fehler, die für die Kaufzurückhaltung verantwortlich sein könnten?
WindelsIch würde nicht so weit gehen und behaupten, sie haben es falsch gemacht. Und was heißt richtig? Es geht um eine Positionierung im Wettbewerb, um einen Wettstreit von Ideen. Dies ist volkswirtschaftlich wünschenswert. Schädlich wäre es, wenn erst in F&E von E-Autos investiert würde und man sich dann nach wenigen Jahren wieder verabschiedet. Ein solches Verhalten ist nicht geeignet zum Aufbau von Investorenvertrauen.
Es ist nicht nur der Preis, der potenzielle Käufer abschreckt. Viele Autofahrer befürchten unterwegs liegen zu bleiben oder finden die Ladezeiten zu lang. Sind diese Befürchtungen berechtigt?
WindelsGenau hier setzt das Schaufenster Elektromobilität an. Es geht um einen breiten Förderansatz, der auf Akzeptanz und Alltagstauglichkeit setzt. Als Schaufenster will das Projekt der Metropolregion und der Bundesregierung die Elektromobilität aus dem Labor holen und sichtbar machen. Bislang reden viele Blinde von Farbe. Wenn die Technologie erlebbar wird und man feststellt, dass es funktioniert, steigt die Neugierde und damit die Nutzerzahlen. Das beantwortet natürlich nicht die Fragen nach Ladeinfrastruktur und Reichweiten. Aber dieses Henne-oder-Ei-Problem muss man lösen. Erst wenn eine stabile Nachfrage wahrscheinlich ist, investieren Unternehmen in Versorgungsinfrastrukturen und erst wenn diese da ist, kaufen die Nutzer Elektromobile. Hier kann es zu lange dauern auf reine Marktlösungen zu hoffen.
Funktioniert beim Technologiewechsel weg vom konventionellen Fahrzeug hin zum E-Auto das alte Geschäftsmodell der Kfz-Hersteller überhaupt noch? In wie weit müssen die Anbieter dabei nicht auch Kooperationen mit Energieunternehmen eingehen?
WindelsDas ist ja das Aufregende, dass viele erwarten, dass die Elektromobilität nicht einfach ein Wechsel von Auto fossil auf Auto elektrisch ist. Ich erwarte eine breite Belebung unterschiedlichster Sektoren. Natürlich die Industrie, die Versorgungsdienstleistungen, die Netzinfrastrukturproduzent.
Ein Großteil der Stromer ist im Rahmen von Car-Sharing-Projekten in den großen Städten unterwegs. Stellt dies nicht erneut die beschränkte Einsatzfähigkeit von Elektroautos als reines Stadtauto und Zweitfahrzeug unter Beweis?
WindelsVielleicht verbindet sich mit der Elektromobilität eine veränderte Verkehrskultur mit einem geänderten „modal split“ in der Nutzung der verschiedenen Verkehrsträger. Lange Strecke mit dem Flugzeug oder der Bahn, mittlere Strecke mit dem Elektroauto, kurze Strecke mit dem (Elektro-) Fahrrad. Dies deutet sich ja offenbar schon heute im Verkehrsverhalten junger Menschen an. Einigen Studien zufolge begreift die Smartphone-Generation Mobilität nicht mehr räumlich und über das Auto, sondern gedanklich-datentechnisch. Das heißt alles an allen Orten verfügbar zu haben und komfortabel virtuell und real an andere Orte zu gelangen. Das Auto ist dann nur noch Hilfsmittel, das ist die neue Mobilität. Hier öffnen sich neue Dienstleistungsmärkte für die Organisation des neuen modal splits mit Soft- und Hardwarelösungen, mit Beratungs- und Vermittlungsdiensten. Die Positionierung der Automobilhersteller im Bereich des Car-Sharing ist auch deshalb von anfänglicher Ablehnung auf eine eigene Markenentwicklung geschwenkt. Vieles ist möglich. Deswegen wäre es schade, wenn die Anfangsfreude jetzt ermüdet.
Zur Person
Der gebürtige Bremer studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hannover. Windels begann seine Karriere bei der NORD/LB 1990 in der Abteilung Volkswirtschaft und wechselte anschließend zur niedersächsischen Staatskanzlei als Referent für Wirtschaft, Technologie und Verkehr. 1996 kehrte er zur NORD/LB zurück in die Abteilung Volkswirtschaft, die er seit Juli 2007 als Chefvolkswirt leitet.